Musikkapelle

Deckblatt einer Lauretanischen Litanei, die J.S. Hengg 1840 komponierte.

Aus der Chronik

Im Jahr 1853/54 gründete Johann Sebastian Hengg (1801-1890) in Nesselwängle eine Musikkapelle mit sechs Mann, die alle dem Kirchenorchester angehörten. Hengg selbst blies auf seiner Es-Klarinette die Melodie. Die übrigen Instrumente waren eine weitere Klarinette, Bass, Trompete und zwei Waldhörner. Wie schon zuvor bei der Kapelle von Stanzach schrieb Hengg alle erforderlichen Musikstücke selbst.

Adalbert und Martina Guem in der alten Tannheimer Taler Tracht

Der erste Auftritt ergab sich beim Fronleichnamsfest 1855. Bald begleitete die Musikkapelle auch die Brautpaare zur Kirche und wieder heimwärts, spielte bei Hochzeiten zum Tanz auf. 1879 erhielt sie Zuwachs von drei jungen Musikern. Unermüdlich sammelte sie nun Geld. Sie fanden in dem etwas wohlhabenderen "Nolge Höß" einen großen Musikfreund. Er lieh den Musikanten Geld zum Ankauf von eigenen Instrumenten und unterstützte sie nach Kräften. Um die Schulden zurückzahlen zu können, zog die Musikkapelle 1866 unter Begleitung zahlreicher Dorfbewohner mit klingendem Spiel nach Rauth und Gacht. Es war dies der erste Ausmarsch aus dem Dorf hinaus. Die beiden Fraktionen spendeten Holz und Geld, sodass ein B-Bass, eine große Trommel und Tschinellen gekauft werden konnten. 1882 übernahm der Schuhmacher Johann Rief die Kapelle. Er schrieb ebenfalls Musikstücke, verlegte sich aber mehr auf das Blasen lustig-fröhlicher Weisen und deren freie Begleitung durch die Musikanten. Die Zahl der Mitglieder stieg unter seiner Leitung immer weiter. Um der Musikkapelle eine ständige Einnahme zu verschaffen, durfte diese die Plätze auf dem Kirchenchor rechts von der Orgel öffentlich an Männer versteigern und den mitunter ansehnlichen Erlös als "Orgelstandsgeld" für sich behalten.
1904 kam der Sennereibesitzer Adalbert Guem als Kapellmeister zum Zug. Er baute die Musikkapelle beständig aus. Unter seiner Leitung wurden die meisten Musikalien angekauft. Das Spielen selbstkomponierter Stücke nahm damit ein Ende.
Im Tiroler Jubeljahr 1909 zog die Kapelle wie viele andere zur feierlichen Denkmalenthüllung nach Reutte und Tannheim, wo Erzherzog Eugen aus Innsbruck den Festakt vollzog. Daraufhin schaffte sich die Kapelle eine eigene Uniform an, die aus einer hechtgrauen Lodenbluse mit grünen Aufschlägen und einer Lyra am Kragen sowie einer schwarzen Hose bestand. Ein in demselben Grau gehaltener Hut mit schwarzgelben Schnüren und einer langen Fasanenfeder diente als Kopfbedeckung.
Zur Zeit Guems bürgerte es sich ein, die Proben im Gasthaus Zum weißen Kreuz abzuhalten, da das Schulzimmer wegen des Pfeifenrauchens an Reinlichkeit litt!
Im Jahr 1912 folgte der Lehrer Alois Pohler als Kapellmeister. Es wurden junge Musiker herangebildet, die Kapelle modernisiert. Während des Ersten Weltkrieges ruhte mit Ausnahme der Fronleichnamsprozession die Tätigkeit der Kapelle. In dieser Zeit war wieder Guem Kapellmeister, da Pohler einberufen wurde. Nach seiner Rückkehr hatte er das Amt wieder bis zum Jahr 1930 inne. Die Kapelle zählte bald ständig 25 bis 28 Mann. 1923 beschloss man, als Uniform die alte Taltracht anzuschaffen. Sie wurde nach alten Votivtafeln in der Leonhard-Kapelle in Tannheim/Kienzen, nach Bildern an der Empore der Kirche in Grän und anderen Vorlagen mühsam zusammengestellt. Das Vorhaben konnte nur unter schweren Bedingungen durchgesetzt werden, zudem mussten die Vorurteile von Seiten der Musikanten abgebaut werden. Finanziert wurden die Trachten durch Glückstopf und Festveranstaltungen (z.B. Seefeste). Die Gestalt der Tracht ist historisch und stammt aus der Barockzeit zwischen 1740 und 1780.

Beim Alpenhof am Haller: sitzend die Mutter Roosevelts

1925 zeigte sich die Kapelle erstmals in ihrer neuen Tracht und mit Marketenderinnen. 1927 wurde in Stanzach der Gründer der Musikkapelle Hengg geehrt und das 100jährige Bestandsjubiläum der dortigen Kapelle gefeiert. 1929 war sie in Pfronten als Gastkapelle und beteiligte sich am 4. Allgäuer Musikbundesfest.
Von 1930 bis 1947 war Hans Singer Kapellmeister. Im August 1937 kam die Mutter des damaligen amerikanischen Präsidenten Franklin D. Roosevelt als Gast in das Tannheimer Tal.

Bei der Glockenweihe im Jahr 1950

Während des Zweiten Weltkrieges ruhte die Musikkapelle. Als nach dem Krieg die Gefangenen zurückkehrten, spielte die Kapelle jedes Mal zum Empfang auf. Im Winter 1945/46 begann man wieder mit den Proben.
Den Kapellmeisterstab übergab Singer 1947 dem gebürtigen Wiener Karl Nagl. Dieser übersiedelte 1948 nach Birgitz, wo er ebenfalls Kapellmeister war. Ihm folgten der Finanzbeamte Anton Oberlechner, der Oberlehrer Alois Blaas und der Nesselwängler Wirt Leo Schratz.

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Ein Sommergast mit Namen E. Hildebrand komponierte 1954 im Weißen Kreuz für Nesselwängle einen Marsch.

Während der Probe zu den Dreharbeiten am Alpenhof.

Im Jahre 1955 wurde in Haller der Film "Wenn die Alpenrosen blühn" gedreht.

Unter der Leitung des Lehrers David Tröbinger (1962-1966, 1970-1972) wurde der Stimmungswechsel (einen Halbton Unterschied) vollzogen. Bisher spielte man in der "Wiener Hochstimmung", fortan in der "Pariser Normalstimmung". Sämtliche Instrumente mussten unter großem finanziellem Aufwand umgebaut oder ausgewechselt werden.
Von 1966 bis 1970 und 1972 bis 1975 übernahm Hubert Tauscher den Taktstock. Die ersten Frauen der Kapelle hatten sich die Tracht für eine Gaudi ausgeliehen.

Die Kapelle unter Wolfgang Stecher mit der ‚Kleinen Tracht'.

Im Jahr 1972 hat sich die Musikkapelle die sogenannte Kleine Tracht' angeschafft. Sie wurde gemeinsam mit der des Männergesangsvereins eingeführt und sieht auch gleich aus.
Der seit 1975 amtierende Kapellmeister Karl Stecher bildete sehr viele Jungmusikanten selbst aus und geleitete diese bis zum bronzenen Jungbläserabzeichen. Es waren die letzten Musikanten, die sozusagen ein Eigenregie das Musizieren erlernten. Fortan gab es die Möglichkeit, sich der Ausbildung der Landesmusikschule in Reutte oder in Tannheim zu unterziehen. Unter seiner Stabführung kamen 1981 auch die ersten Damen zur Musikkapelle. Unter Stechers Nachfolger, seinem Sohn Wolfgang, wurde das Schlagwerk erweitert, wodurch auch "moderne Rhythmen und Stücke" für die Kapelle spielbar wurden. 1994 marschierte die Musikkapelle für den Werbefilm "Der Apfelstrudelkönig" des Hotels Berghof auf.

Beim Erntedankfest 1999 in der Pfarrkirche.

1998 übernahm Peter Rief die Leitung. Für die CD Außerferner Blasmusik wurden zwei Musikstücke aufgenommen. Von 2000 an leitete Franzl Zobl die Geschicke der Musikkapelle.

Die Musikkapelle heute

Seit Jänner 2003 ist Bertl Brugger aus Tannheim Kapellmeister. Die Funktion des Obmannes übt seit 2001 Peter Rief aus.

Heute stellt die Musikkapelle Nesselwängle ein kleines Laien-Dorf-Orchester (Musikstücke der Grund- und Mittelstufe) dar. Sie ist imstande, sich bei Marschmusik-Bewertungen und auf CD hören zu lassen. Neben den Klassikern Marsch, Polka, Walzer, Potpourri, Ouverture, Messe, Fanfare, Trauer- und Prozessionsmarsch werden auch moderne Blasmusikstücke und Medley's mit anderen Rhythmen und Beats (Swing, Rumba, Twist, Pop, Rock, Dixie usw.) vorgetragen.
Die Musikkapelle Nesselwängle ist ein nicht wegzudenkender Verein, der das Dorfleben das ganze Jahr über prägt. Frühjahrskonzerte, wöchentliche Platzkonzerte, Geburtstagsständchen, kirchliche Feste, Frühschoppen, große Vereins- und Gemeindefeste stehen ebenso auf dem Programm wie Auftritte außerhalb des Dorfes, wie z.B. das jährliche Bezirksmusikfest, der Talfeiertag am 17. September oder (inter-)nationale Gastbesuche und Ausflüge. Zur Zeit spielen 28 aktive Musikantinnen und Musikanten.

Zum 150-Jahr-Jubiläum 2003 ist eine ausführliche Festchronik erschienen.