Musikkapelle St. Kassian
Es war ein schöner Herbsttag des Jahres 1927 (8. September), als die Zwillingsbrüder Sepl und Fedel Frenademez aus St. Kassian die Straße in Richtung Valparola-Pass zu Fuß hinaufstiegen. Der Weg bis zum Pass war ziemlich lang und sehr steil und das gab den zwei Jungen die Gelegenheit, über verschiedene Sachen zu reden und zu diskutieren. Sie sprachen über die Landschaft, die sich langsam veränderte, über die schönen vergangenen Jahre der Kindheit in der Schule, über die harte Arbeit des Alltags. Fedele war der Ansicht, die Arbeit sei gut und richtig, wenn sie nicht zu hart ist. Es sei aber interessant, dass je mehr man arbeite, umso fröhlicher sei man am Abend, wenn man aufhören könne. Sepl meinte, man solle sich etwas einfallen lassen, um die langen Abende während des Winters in Fröhlichkeit und guter Stimmung zu verbringen, damit auch die harte Arbeit am nächsten Tag wieder leichter falle. Die beiden dachten eine Weile nach und versuchten, sich etwas einfallen zu lassen. Die einen spielten gerne Karten oder kegelten, andere erzählten mit Vorliebe alte Geschichten oder Erlebnisse, wiederum andere sangen, tanzten oder spielten ein Instrument. Schließlich entschlossen sich die beiden, eine Musikkapelle zu gründen.
Nach dem ersten Aufruf trafen sich 34 Jugendliche des Dorfes unter der Leitung des Lehrers Johann Piccolruaz. Trotz der großen Not, die in diesen Jahren nach dem Krieg im Dorf noch herrschte, kaufte sich jeder sein Instrument selber. Als Lehrer und Dirigent wurde der Grödner Johann Mahlknecht da Palma gerufen. Da Mahlknecht ein Bildhauer war und die jungen Musikanten nicht viel Geld besaßen, entschloss man sich, ihn mit Holz zu bezahlen.
So fing man im Spätherbst des Jahres 1927 mit den Proben an. Die Lehrzeit dauerte zwei Jahre. Mit viel Mühe und guter Laune lernten die Jungen aus St. Kassian das Musizieren. Die Musikkapelle St. Kassian hatte ihren ersten Auftritt beim großen Fest Corpus Domini im Monat Juni des Jahres 1929 unter der Leitung des Lehrers Johann Piccolruaz. Die Dorfgemeinschaft war stolz auf ihre neue Kapelle.
Die Musikkapelle spielte in den darauf folgenden Jahren regelmäßig bei den kirchlichen Festlichkeiten - bis zum Ausbruch des zweiten Weltkrieges. Da hörte die Tätigkeit für ein paar Jahre auf. 1947 wurde sie wieder aufgenommen. Der Dirigent war immer noch Johann Piccolruaz. Nach seinem Tod ging die Leitung der Kapelle an den Organisten Fedele Tasser über. Im Jahr 1965 wurde Vijio Frenademez neuer Kapellmeister, ihm folgte Corrado Granruaz. Unter diesen beiden letzten Kapellmeistern erfuhr die Kapelle Zuwachs und steigerte ihre Qualität. Sie gewann in diesen Jahren das interladinische Festival und wurde auch nach Weisenstein eingeladen, als Papst Johannes Paul II. dort zu Besuch war. 1977 bekam die Kapelle ihre schöne Fahne, gesponsert vom Hotel Rosa Alpina aus St. Kassian.
Im Jahr 1990 wurde die Kapelle erneut aufgelöst. Fünf Jahre später wagte man einen Neuanfang. Ein Ansporn für die Wiedergründung der Kapelle war auch die Errichtung eines neuen Probelokals im Vereinshaus J.B. Rinna des Ortes. Die neue Einrichtung wurde 1997 feierlich eröffnet. 1999 erhielt die Kapelle eine neue Tracht, da die alte nicht der ladinischen Tradition entsprach und ziemlich abgenützt war.
Die Musikkapelle St. Kassian zählt heute zu den kleinsten Kapellen Südtirols. Sie besteht aus 29 Musikanten, 4 Marketenderinnen und 3 Fahnenträgern. Besondere Verdienste hat sich Altkapellmeister Vijio Frenademez erworben, der fast sein ganzes Leben lang für die Kapelle mit Leib und Seele da war. Frenademez, der als Schneider tätig war, hatte einst selbst die Trachten gemacht, die 30 Jahre lang mit Stolz von den Musikanten getragen wurden. Erinnern möchten wir uns auch an die langjährigen Mitglieder Felix Frenademez und Sepl Pescollderungg. Letzter war viele Jahre als Obmann tätig. Alle drei weilen heute nicht mehr unter uns. Johann Rudiferia war der letzte Gründer der Kapelle, der bis vor kurzer Zeit noch unter uns war. Er ist am 19. Jänner dieses Jahres [2004] gestorben. Er war von 1927 bis zur Auflösung im Jahre 1990 mit viel Freude und Einsatz dabei. Auch der ehemalige Kapellmeister Corrado Granruaz hat sich um die Kapelle verdient gemacht.
Seit der Wiedergründung steht Christian Pescollderungg der Kapelle als Obmann vor, Kapellmeister ist Andreas Glira. Jugendleiter ist Iris Agreiter, der Schriftführer Mirko Rudiferia und Kassier Richard Pescollderungg.
Die Kapelle wirkt bei den Festen und kirchlichen Feiern im Dorf mit, hält 3 bis 5 Abendkonzerte während des Sommers für Einheimische und Gäste. Ein bis zwei Mal im Jahr nimmt sie auch an Veranstaltungen außerhalb des Tales teil, wie zum Beispiel beim bekannten Traubenfest in Meran. Da die Kapelle nicht sehr viele Mitglieder hat und etliche im Gastgewerbe tätig sind, sind die Auftritte nicht so zahlreich.
Die Musikkapelle St. Kassian kann auch einen Rekord in Südtirol aufweisen: In unserer Kapelle haben wir die Frau mit der größten Anzahl an Dienstjahren! Es handelt sich um Giustina Dapunt, die heuer das 27. Jahr in der Kapelle tätig ist.
2002 hat die Musikkapelle ihr 75. Jubiläum gefeiert. Zu den Zielen der Kapelle gehört es, in den nächsten Jahren die Mitgliederzahl zu steigern und die Kameradschaft zu pflegen.
Trachten
Vom Jahr 1927 bis 1955 keine Tracht
Erste Tracht: 1955 bis 1977
Zweite Tracht: 1977 bis 1998
Dritte Tracht: seit 1999 - sie entspricht der ladinischen und Pustertaler Tradition
Mirko Rudiferia
Schriftführer